Desert Hope E-Book.jpg

Auszug aus dem Liebesroman: Desert Hope

Sie hatte schon öfters darüber gelesen, dass Körper und Geist übernatürliche Kräfte entwickeln können, wenn es ums Überleben geht. Blutdruck und Herzschlag steigen rapide an, das rote Lebenselixier verdickt sich, die Pupillen erweitern sich, Energiereserven werden mobilisiert, Adrenalin schießt durch jede Faser des Körpers und setzt Kräfte frei, die physikalisch eigentlich unmenschlich sind. Doch sie hätte niemals vermutet, dass es ihr selbst einmal so ergehen könnte.

 

Beim Versuch, sich mit aller Kraft nach hinten zu stemmen, um mit dem Kopf aus dem Wasser zu gelangen, schoss sehr wohl Adrenalin durch ihren Körper, doch Übernatürliches wollte sich nicht zeigen. Einzig pure Panik durchflutete jeden Zentimeter ihres Körpers. Sie wand sich hin und her, umklammerte mit den Händen den kalten Rand, sodass das Weiß aus ihren Fingern hervorblitzte. Doch sie rutschte immer wieder ab und glitt nur noch tiefer ins Atemlose. Sie spürte, wie ihre Lungen gierig nach Luft schnappen wollten, doch ihr Instinkt untergrub den Reflex. Ihre Muskeln verkrampften sich und die Welle der bebenden Gliedmaßen ließ den Fliesenboden vibrieren. Irgendwann geschah etwas mit ihr, etwas, das sie völlig ruhigstellte. Von einer Sekunde auf die andere war da kein Zucken mehr, kein instinktiver Kampf ums Überleben, kein Schmerz mehr, schlagartig war alles vorbei. Selbst die allbeherrschende Angst verflüchtigte sich. Es war, als würde sie fortsegeln, mit dem Wind, in völliger Ruhe. Hatte ihr Herz aufgehört, zu schlagen? War sie tot?

Sie hörte dumpf seine Stimme. Den ruckartigen Zug an ihren Haaren spürte sie jedoch nicht mehr. Das kühle Nass tropfte von ihrem Kopf, sie beobachtete eine Perle, die auf dem weißen Boden im Licht glitzerte, das durch das schmale Dachfenster einfiel. Sie musste jetzt mit dem Gesicht neben der Perle auf dem Fliesenboden liegen. Doch wie war sie hierhergekommen? Was war passiert? Lebte sie vielleicht doch noch? Sie vernahm ein gluckerndes Geräusch, als würde der Abfluss eines Waschbeckens ein Lied für sie singen. Tröpfchenweise kehrte ihr Bewusstsein zurück. Es war nicht der Abfluss des Waschbeckens. Es war der der Badewanne, in der sie zuvor kopfüber um Atem gerungen hatte. Warum hatte er von ihr abgelassen? War ihm das Ertränken seiner Freundin zu langweilig geworden? Das würde ihm ähnlich sehen. Die meisten Dinge verloren für ihn nach kurzer Zeit den Reiz. Vielleicht ging er aber auch davon aus, eine Leiche zu seinen Füßen liegen zu haben. Sie spürte nichts außer Ratlosigkeit. Ihre Hand lag neben ihrem Gesicht. Doch die Befehle, die ihr Gehirn dem Zeigefinger erteilte, blieben von diesem unbeachtet. Als wäre ihr Körper nicht mehr der ihre. Plötzlich bewegte sich der Boden unter ihr. Er flog davon, während sie bewegungslos dalag. Befand sie sich auf einem Förderband? Oder schwebte sie gerade ins Jenseits? Ihr Kopf holperte über die Türschwelle. Langsam drang ihr die Erkenntnis ins Bewusstsein. Sie wurde von ihm, der sie an den Füßen hielt, aus dem Badezimmer gezogen.

„Ach, jetzt sagst du nichts mehr? Ha! Die große Königin, die … die Allwissende, die immer auf alles eine Antwort hat. Meiner ach so klugen Scheißfreundin hat’s die Sprache verschlagen. Ich lach‘ mich tot! Das muss ich nachher gleich meinem Kumpel erzählen. Den nervst du auch schon lange, du Miststück. Mit deinem … deinem beschissenen Geschwätz. Steh auf!“

Er riss an ihren Armen, rutschte an der nassen Haut ab, wankte rückwärts und suchte Halt am Esstisch. Der Alkohol ließ seine Beine taumeln. Dann hob er ihren reglosen Körper hoch und warf ihn wie ein Ball durch die Luft.

„Hör auf, zu wimmern wie ein Hund! Du sollst aufstehen oder muss ich dich erbärmliches Stück Dreck jetzt auch noch vom Boden kratzen? Weißt du, was du bist? Ein peinliches Stück Scheiße.“

Er sammelte seine Kräfte und holte aus. Der gezielt platzierte Schlag in ihre Magengegend ließ sie aufstöhnen. Ungewollt schluchzte sie, was ihn offenbar stolz machte. Stolz auf sich und diesen präzisen Schlag gegen seine wehrlose Freundin, die in Embryostellung am Boden lag. Er reckte sein Kinn, beugte sich zu ihrem Gesicht hinunter und brüllte in ihr Ohr: „Hör endlich auf, zu heulen, du dreckige, nervtötende Klette! Schlimmer als meine Ex-Frau bist du. Hast du gehört? Der Baseballschläger meiner Ex in meinem Gesicht war erträglicher als deine rotzverheulte Vi… Visage!“

Der Gestank von Schnaps und Bier kroch ihr in die Nase. Sie presste die Augen zusammen und versuchte, ihre Gedanken zu sortieren. Wieder ein Tritt.

 

 

VicPVictory